Man sieht eine Mutter, die mit ihrem Handy beschäftigt ist, während ihr Kind auf dem Spielplatz spielt

© Maria – stock.adobe.com

Digitaler Overload

27.03.2025

Der GRASHÜPFER hat mit Dr. Charlotte Heppenheimer gesprochen:

Fr. Dr. Heppenheimer, Sie und ihre Kolleg:innen im Sozialpädiatrischen Zentrum beobachten: Verhaltensstörungen bei Kindern und Jugendlichen nehmen durch zu starken Medienkonsum zu …
Ja. Smartphones können die gesunde Entwicklung stören. Dazu zählen vor allem Bildschirmmedien wie Fernseher, Smartphones, Tablets und Spielekonsolen. Wir sehen einen Zusammenhang von häufiger Bildschirmnutzung in der frühen Kindheit und Verzögerungen in der kognitiven, motorischen, sprachlichen, sozialen und emotionalen Entwicklung. Auch Hyperaktivität und Verhaltensstörungen zählen dazu. Die Inhalte können mit ihren schnellen Bild- und Tonfolgen zu einer Reizüberflutung des Gehirnes gerade von Kleinkindern führen.

Bildschirmfrei bis drei“ – das ist die Empfehlung der Kinder- und Jugendärzte und der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung. Warum ist das so wichtig?
In den ersten drei Lebensjahren findet ein Großteil der Hirnentwicklung statt. Kinder erfahren in dieser Zeit die Welt mit allen Sinnen. Sie entwickeln so fein- und grobmotorische Fähigkeiten, die Grundlagen der Kommunikation und Sprache und die kognitive Entwicklung findet statt. Über zweidimensionale Bildschirmmedien ist dieses Lernen nicht in gleichem Maße möglich. Die Zeit, die (Klein-)Kinder vor dem Bildschirm verbringen ist somit in Bezug auf ihre Entwicklung verlorene Zeit. Unter ständiger Berieselung leidet auch die Phantasie.

Auch Eltern sind von zu hohem Medienkonsum nicht befreit. Eine Kampagne der Suchtprävention Berlin zeigt Plakate, auf denen Eltern etwa auf dem Spielplatz zu sehen sind – in ihr Handy vertieft, während die Kinder allein auf der Schaukel sitzen und vor sich hinstarren. Daneben der Slogan: „Heute schon mit ihrem Kind gesprochen?“. Warum ist es so wichtig, dass Eltern im Zusammensein mit ihrem Kind nicht abgelenkt sind? 
Die direkte Interaktion ist einer der wichtigsten Faktoren bei der Kindesentwicklung, wobei besonders die emotionale Bindung und Verfügbarkeit von Vertrauenspersonen von Belang sind. Gerade kleine Kinder benötigen viel Zuwendung, die durch den Medienkonsum zu kurz kommt. Reagieren Eltern auf ihr Kind nicht, weil sie kurz mal eine Nachricht lesen, kommt das jedes Mal einer Zurückweisung des Kindes gleich. Die Eltern-Kind-Beziehung leidet. Auch der Augenkontakt fehlt. Kinder können dann aus Verzweiflung heraus ein ausagierendes Verhalten (mit Schreien und Aggressivität) entwickeln. Sie lernen: so bekomme ich Aufmerksamkeit und Zuwendung. Zudem ist das Unfallrisiko durch abgelenkte Eltern erhöht.

Welche Gefahren sehen Sie im digitalen „Überkonsum“ bezüglich der Entwicklung außerdem?
Bei kleinen Kindern sehe ich ein erhöhtes Risiko für Entwicklungs- und Verhaltensstörungen: Bindungsstörungen und Störungen des Emotional-, Sozial- und Kommunikationsverhaltens. Bei älteren Kindern und Jugendlichen zeigen sich Konzentrationsprobleme, Spiel- und Mediensucht sowie Depressionen. Sie können leicht mit inadäquaten Inhalten wie Gewalt oder sexuellen Handlungen konfrontiert werden. Dies führt zu einer emotionalen Abstumpfung. Auch passieren Beleidigungen und Mobbing im Netz niederschwellig.

Worauf können Eltern im Alltag besonders achten?
Kleine Kinder sollten gar nicht, ältere Kinder so wenig wie möglich (und wenn nur begleitet) digitalen Medien ausgesetzt werden. Mediennutzung während der Mahlzeiten ist außerdem tabu. Das Ziel der Eltern sollte es sein, ihre Kinder zur Medienmündigkeit zu erziehen: Medien sollten gezielt eingesetzt und Inhalte kritisch hinterfragt werden. Und es sollte möglich sein, auch mal ganz auf digitale Medien zu verzichten. Wenn Kinder durch ihre Eltern als Vorbilder erleben, dass die Zeit abseits des Bildschirms im Leben zählt, kann sich eine gesunde und positive Familiendynamik entwickeln. Dabei immer bedenken: eine klare Begrenzung und Begleitung digitaler Medien ist anstrengend. Beides führt häufig zu Auseinandersetzungen mit den Kindern. Das gehört dazu. Hier möchten wir Eltern bestärken: es lohnt sich – vor allem für die langfristige Gesundheit der Kinder. 

Was wünschen Sie sich als Neuropädiaterin langfristig?
Ich wünsche mir, dass Eltern wieder mehr mit ihren Kindern sprechen, lesen und spielen. Smartphones sollten nicht zur „Ruhigstellung“ genutzt werden. Dass Jugendliche verstärkt am realen Leben teilnehmen, Sport machen, sich mit Freund:innen treffen und unterhalten. Die Gefahren des uneingeschränkten Konsums digitaler Medien für Kinder und für Erwachsene werden unterschätzt. Es macht mich traurig, dass die dadurch verursachten Entwicklungs- und Verhaltensstörungen sowie psychischen und körperlichen Erkrankungen, die wir behandeln, vermeidbar wären.

Dr. Charlotte Heppenheimer

Autorin:
Sandra Winzer
Im Gespräch: Dr. Charlotte Heppenheimer, Neuropädiaterin und Oberärztin, SPZ, Darmstädter Kinderkliniken Prinzessin Margaret
www.kinderkliniken.de

Weitere interessante Beiträge für dich:

Babyglück voraus

Babyglück voraus

Zur Geburt gibt es neben den alten Bräuchen auch spezielle Feiern, die immer beliebter werden. Wir geben einen Überblick über Babyshower & Co.

Die Erstausstattung für das Baby

Die Erstausstattung für das Baby

Die Vorfreude auf das erste Baby ist groß, doch die Frage nach der richtigen Ausstattung sorgt oft für Verunsicherung bei werdenden Eltern.

Pin It on Pinterest

Share This