Mutter und Tochter sitzen auf dem Sofa.

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Pubertät: Wenn das Leben einer Baustelle gleicht

08.07.2024

Der Begriff Pubertät kommt aus dem Lateinischen und bedeutet „Mannbarkeit“ – Zeit, in der Jugendliche geschlechtsreif werden. Die Geschlechtsreife beginnt heute schon viel früher als zum Beispiel im 19. Jahrhundert. Zumeist zeitlich eingegrenzt zwischen dem 11. und 18. Lebensjahr.

Pubertät, die Zeit hormoneller, körperlicher und seelischer Veränderung. Erste Liebe, erste sexuelle Erfahrungen mit sich selbst und anderen; tiefes Gefühlschaos. Ein Wandel nicht nur körperlich, sondern auch was die Emotionen und Verhaltensweisen angeht. Die Eltern sind doof, die Schule nervt, und das Leben wird fürchterlich anstrengend. Eltern erleben ihre Kinder provokant, ignorant, abweisend, widerredend, lustlos. Grenzen, feste Regeln, Strukturen, Rituale, benötigt der Heranwachsende weiterhin, um sich nicht im Chaos und dem Freiheits- und Abgrenzungsdrang zu verlieren. Genauso wichtig sind Freiräume, in denen der Jugendliche sich ausprobieren kann, seine eigenen Grenzen erfahren kann. Dafür braucht es auch die Großzügigkeit und die Flexibilität der Eltern. Der Teen hat das Recht, eine gewisse Zeit am Tag alleine und ungestört zu sein.

Streit, Konflikte, dass sich Reiben mit den Eltern, Geschwistern, Klassenkameraden, Lehrern sind wichtig für die normale Entwicklung und Reife; Selbstwerdung, Autonomie, Stärkung der Ichidentität, „Ich bin anders als du!“. Mit dem „Du bist OK!“ hapert’s da meistens noch etwas. In der Peergroup, die Clique, die Gruppe der Gleichaltrigen erleben die Heranwachsenden Gemeinschaft und Gemeinsinn. Hier können sie üben, sich solidarisch und einfühlsam zu zeigen. Und auch mal sich daneben zu benehmen. Kinder lernen Grenzen über Grenzerfahrungen! Die Regeln der Peergroups sind anders als die unter den Erwachsenen. Mal über die Stränge schlagen, was kaputt machen, bestrafen und bestraft werden. Dies alles ohne gleich die üblichen weitreichenden Folgen.

Körperkontakt, Knuddeln, Zärtlichkeit sind wichtig. Nehmen Sie Ihr Kind öfter mal in den Arm. Umarmungen können Wut, Kummer, Neid, Niedergeschlagenheit, Stress, Einsamkeit und Angst besiegen. Streicheln und Kuscheln stimmt aggressive und hyperaktive Kinder friedlich.

Eltern haben meist eine schwere Zeit. Fühlen sich oft ratlos. Wie sollen sie mit den schwierig gewordenen Sprösslingen umgehen? Das Verhältnis wirkt gestört. „Früher war das Verhältnis doch so gut! Was ist nur los mit meinem Kind?“ Den Rückhalt der Familie spüren. Für Sicherheit und Selbstvertrauen brauchen Kinder feste und verlässliche Beziehungen und Vertrauenspersonen. Auch wenn der Sprössling aus allen Poren „Lass mich in Ruhe!“ zu schreien scheint. Eltern geben dem Jugendlichen die notwendige Sicherheit und Geborgenheit, die sie selten bei den Gleichaltrigen finden.

Lob und Anerkennung, ehrlich gemeintes „Das hast du gut gemacht!“ hilft über Hürden hinweg, stärkt das Selbstvertrauen und motiviert. Pubertierende wollen auch ab und an mal ein Nein hören. Eine Gegenkraft spüren, an der sie sich orientieren können. Das Gespräch, ein Zaubermittel: Sorgen Sie als Eltern früh für eine vertrauensvolle Gesprächsebene. Verlieren Sie zu Ihrem Sohn oder/und Ihrer Tochter frühzeitig den Kontakt, lässt sich dieser in Zeiten der Pubertät kaum mehr nachholen. Vereinbaren Sie ruhige Sprechzeiten. Es darf da auch einen leckeren Snack geben und was Leckeres zu trinken. Sprechen Sie in der Pubertät unter anderem über Dinge wie Liebeskummer, Verhütung, Aids, Sexualität, Umgang mit Pornographie, den Einfluss von Medien. Das Zuhören, verstehen wollen, ausreden lassen ist dabei sehr wichtig. Beziehungsrückzug der Eltern ist mit Sicherheit der falsche Weg. „Dann überlasse ich sie/ihn halt sich selbst. Soll er/sie doch sein/ihr Leben alleine regeln!“ höre ich öfter mal von frustrierten Eltern.

Letztlich geht es um die Einzigartigkeit eines jeden Menschen. Dem wird zumeist der Stempel „pubertierend“ nicht gerecht. Es geht um die Vielschichtigkeit menschlicher Begegnung. Und der Stimmigkeit mit sich selbst, authentisch mit sich selbst sein. In erster Linie versuche ich in meiner praktischen gestaltherapeutischen Arbeit einen jungen Menschen mit seinen Nöten, Fragen und Sorgen vor mir zu sehen. Zuhören, verstehen wollen, sich einfühlen in seine Welt sind für mich dabei wichtige Attribute. Dem Jugendlichen seine Gedanken, Gefühle, Emotionen spiegeln, dass ihm selbst immer mehr gewahr wird, was ihn bewegt und wie er tickt. Dann gewinnt er die Sicherheit, selbst zu entscheiden, welchem Denken, Fühlen und Handeln er Vorrang gibt.

Frank Kruschel

Autor:
Frank Kruschel, Diplom-Sozialpädagoge, Heilpraktiker Psychotherapie (HPG), Gestalt- und Gesprächspsychotherapie in Darmstadt-Eberstadt
www.gestalttherapie-kruschel.de

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