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08.07.2024
„Siehst du, quengeln hilft“, hat mir meine Nichte stolz erklärt. Gerade hatte sie ihren Vater nach lautem Geschrei erfolgreich davon überzeugt, ihr endlich ein Erdbeereis zu kaufen. Hundertmal Nein sagen und dann doch nachgeben …
Wer Kinder hat, kennt dieses Gefühl. Denn wer am lautesten schreit, sich am auffälligsten verhält, am meisten fordert, erhält automatisch mehr Aufmerksamkeit. Und während wir versuchen dieses Kind zu beruhigen, vergessen wir darüber oft die anderen, ruhigeren Kinder, die vielleicht nicht ganz so laut schreien, aber ebenfalls unsere Aufmerksamkeit benötigen. Unsere Reaktion auf dieses Verhalten kann Folgen haben, das verhält sich innerhalb von Familien so wie in den sozialen Netzwerken.
An dieser Stelle sei mal ein Vergleich gewagt: Jetzt schreien Kinder aus ganz unterschiedlichen Gründen (weil sie noch nicht sprechen können, weil sie müde und hungrig sind, weil sie Zuwendung brauchen…), und natürlich reagieren Eltern darauf (instinktiv, weil sie sich Sorgen machen, ihre Ruhe haben wollen, weil es ihnen peinlich ist, weil es richtig ist …).
Content-Creator dagegen suchen meist aus kommerziellen Gründen die Aufmerksamkeit ihrer Community. Auch hier gilt: Wer am lautesten schreit, erhält die meiste Zuwendung, nämlich Klicks. Und das kann mitunter Folgen haben. Denn Creator wenden die bekannten Tricks an: Ob 3-Sekunden-Regel, Call-to-action oder launige Versprechen, Memes, groteske Bilder oder witzige Videos – die Möglichkeiten sind ebenso unbegrenzt wie die Reichweite im Internet.
Wir als Konsumenten jedoch sind es, die mit unserem Verhalten dafür sorgen, dass ihre Videos viral gehen. Der Algorithmus im Hintergrund analysiert, ob wir interagieren, was wir teilen und liken, wie lange wir auf dem jeweiligen Account verweilen, wem wir ein Herzchen schenken. Entsprechend bekommen wir dann immer wieder ähnliche Inhalte vorgeschlagen und bewegen uns, ohne es groß zu hinterfragen, in unserer Bubble. In Zeiten politischer Aufgewühltheit kann man hier rasch mit in einen Strudel von Fehlinformationen, Verschwörungstheorien und Fake News geraten. Schlimmer noch: Man sorgt für die Verbreitung und noch mehr Reichweite anti-demokratischer Inhalte!
Reflektion
An dieser Stelle ist es wichtig, das eigene Medienverhalten zu reflektieren und Medieninhalte kritisch hinterfragen: Nicht jedes Koch-Video zeigt nur leckere Rezepte, nicht jeder Wetterbericht dreht sich um Sonnenschein. Wir sollten verstehen, wie die Techniken der Medienmanipulation funktionieren, also Videoschnitt oder Filter, die eine falsche Wahrnehmung erzeugen. Wir sollten in der Lage sein, Kontexte herzustellen, denn oft sind Inhalte und Videos aus dem Zusammenhang gerissen. Der verfälschte Inhalt sorgt dann für falsche Schlussfolgerungen – und einmal im Netz, immer im Netz.
Zudem gilt es skeptisch gegenüber einseitiger Berichterstattung zu sein und überhaupt Fakten und ihre Quellen zu prüfen (zum Beispiel auf correctiv.org oder mimikama.org; im Übrigen kann man jederzeit der jeweiligen Plattform verdächtige Inhalte melden). Und wir sollten Videos oder links verantwortungsbewusst teilen, nur so verhindern wir die Verbreitung von Desinformation.
Wenn wir verstehen, und da sind wir wieder bei der Kindererziehung, dass uns die Affekte anderer manipulieren, schaffen wir es auch, eine widerstandsfähige Einstellung gegenüber manipulativen Inhalten zu entwickeln. So können wir uns bewusst von emotional aufgeladenen Themen distanzieren und uns rational schützen. Dessen müssen wir uns gerade jetzt bewusster denn je sein und eine klare und selbstsichere Haltung zeigen. Denn, sagen wir es mal so: Was ist schon eine Kugel Erdbeereis mehr oder weniger gegen Hass und Hetze im Netz, die unsere Demokratie gefährden?
Autorin:
Ilona Einwohlt ist Autorin und Bildungsreferentin beim MuK (Institut für Medienpädagogik und Kommunikation Hessen e.V.) mit den Schwerpunkthemen Kinder- und Jugendkultur, digitale Lebenswelten und Mädchenbildung.
www.muk-hessen.de
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